XBox Review: Project Blue im Test

Auch wenn das Nintendo Entertainment System inzwischen stolze 40 Jahre auf dem Buckel hat und längst durch zahlreiche Generationen mächtigerer Hardware ersetzt wurde, gibt es doch noch immer Entwicklerinnen und Entwickler, die die 8Bit-Konsole mit frischen (Indie)Titeln versorgen. Um diese Spiele wiederum einem etwas größeren Publikum jenseits der Hardcore-Retro-Szene zugänglich zum machen, hat sich Publisher 8Bit Legit darauf spezialisiert, eben diese für aktuellere Systeme wie XBox oder Switch zu portieren. Auch für Project Blue, der neuesten NES-Portierung des Publishers, wurde ich freundlicherweise mit einem XBox-Review-Code bedacht, doch anders als das zuletzt getestete NEScape!, das das halbwegs zeitgenössische Escaperoom-Genre auf die alte Konsole transportierte, sind die spielerischen Wurzeln der blauen Unternehmung sehr viel deutlicher in der Vergangenheit zu suchen.

Project Blue (Xbox)

Die Cyberpunk-Anleihen, auf die das Spiel mit einigem Stolz verweist, können dabei getrost ignoriert werden, sind sie doch kaum mehr als fadenscheiniger thematischer Überbau für ein schnörkelloses Jump’n’Run mit weitestgehend traditioneller Mechanik. Zwar kann Protagonist Blue, der versucht, als Proband gentechnischer Experimente aus dem Unternehmenskomplex des Riesenkonzerns Omnicorp zu entfliehen, einzelne Schüsse nach links oder rechts abfeuern und ist damit Capcoms Megaman nicht ganz unähnlich, durch den Verzicht auf Scrolling zugunsten einer Aufteilung der Umgebung auf 256 einzelne, bildschirmgroße Räume erinnert das Spiel aber auch an ältere, britische Computerspiele wie etwa die Monty Mole Reihe. Als großer Freund von Single-Screen-Titeln kann ich diese heutzutage eher selten anzutreffende Designentscheidung nur begrüßen, zumal es das zwei-Mann-Team hinter Projekt Blue geschafft hat, jeden dieser Räume mit durchaus gelungenen, individuellen Herausforderungen zu entwerfen. Sind die Kammern zunächst streng linear  gestaltet, öffnet sich der Levelaufbau später auch etwas, so dass sich Aufgaben über mehrere Bildschirme erstrecken. Dabei ist oft beobachtendes und gezieltes Vorgehen mindestens genauso wichtig wie schnelle Reflexe, denn auch, wenn sich die Feinde in Form von Wachdroiden in simplen Mustern bewegen, sind sie doch häufig so positioniert, dass sich sich gegenseitig Deckung geben oder direkt unzerstörbar sind. Dazu gesellen sich einige Powerups und allerlei vertraute Hindernisse des Genres wie Selbstschussanlagen, Laserbarrieren, Stacheln, sich bewegende Kreissägen und gelegentliche Bossgegner. Mitunter muss auch mal ein Trampolin verschoben, ein Fallschirm genutzt oder ein Schalter betätigt werden, um den Weg zur nächsten Passage zu öffnen, doch weitestgehend hält sich Project Blue an bekannte und bewährte Zutaten klassischer Hüpfspiele. Als nette Dreingabe verändert sich jedoch das Layout leicht in den drei verfügbaren Schwierigkeitsgraden, indem beispielsweise ein durchgehend fester Untergrund in der „normalen“ Stufe einigen Säuregruben weichen muss, wenn man sich an der als Brutal betitelten Herausforderung versucht. Das soll aber nicht heißen, dass der Titel im einfachsten Modus ein Spaziergang ist, ganz im Gegenteil. Oft scheint es auf den ersten Blick unmöglich, einen Abschnitt unbeschadet zu überstehen, doch mit der richtigen Idee und korrektem Timing lassen sich diese Widrigkeiten überwinden, wobei das wiederum Angesichts der etwas diffizilen Steuerung leichter gesagt als getan ist: Vor allem der extrem hohe Sprung, der erst aus dem Lauf heraus sein oft benötigtes Maximum erreicht, fühlt sich etwas schwammig und „floaty“ an, insbesondere bei der Steuerung mit einem XBox-Controller. Damit einher geht auch eine gewisse Schwierigkeit, bei Schüssen aus dem Sprung heraus den korrekten Zeitpunkt auszumachen, um nicht das Ziel zu verfehlen. Im Großen und Ganzen tut dieses Projekt Blue keinen Abbruch, dennoch kann es in Sachen Präzision nicht ganz mit Spitzentiteln auf dem NES mithalten. Gleiches gilt auch für die Präsentation, die irgendwo zwischen „durchschnittlich“ und „ganz nett“ angesiedelt ist. Zumindest die Hintergründe werten den Titel dank geschicktem Spiel mit Farbgebung und Schattierungen visuell auf und verleihen ihm mit Monitoren, Röhren und Kabeln dann doch etwas Cyber-Flair. Dezente Palettenwechsel bringen darüber hinaus etwas Dynamik in das Setting und verhindern gleichzeitig, dass man allzu sehr abgelenkt wird, dennoch hätte die Umgebung etwas mehr Leben zum Beispiel in Form von flackernden Fernsehern oder animierten Flüssigkeitsoberflächen vertragen können. Die Gegner sind ebenfalls zwar nicht sonderlich innovativ, mit ihrem mechanischen Aussehen zumindest stimmungsvoll, auch wenn wenn man keine nähren Details ausmachen kann, während die Spielfigur kaum generischer sein könnte und als Pixel-Protagonisten-Blaupause jeglichen individuellen Scharm vermissen lässt. Musikalisch wird solide und abwechslungsreiche Chiptune-Kost geboten, ohne dass die Melodien dauerhaft im Gedächtnis bleiben, die wenigen Soundeffekte wirken dagegen etwas dünn.

Project Blue (Xbox)

Größter und für mich ausschlaggebenster Knackpunkt ist jedoch die Struktur der Portierung selber. Segnet Blue trotz einer kleinen Energieleiste, die den einen oder anderen Fehltritt verzeiht, das Zeitlich, wird er an den letzten, oft mehrere Räume zurückliegenden Checkpunkt versetzt bzw. muss bei Verlust aller Leben den Ausbruchsversuch am Anfang eines größeren Abschnitts neu beginnen. Neben der etwas merkwürdigen Entscheidung, beim Start von einem Rücksetzpunkt den Lebensbalken nicht komplett zu füllen, verfügt das Spiel leider weder über eine Speicherfunktion noch über ein Passwortsystem. Somit muss bei jedem Start von Projekt Blue auf der Xbox der Titel komplett von Anfang an neu in Angriff genommen werden! Zwar weckt dieses Vorgehen durchaus nostalgische Erinnerungen an Zeiten, in denen man sich wieder und wieder mit einem Stück Unterhaltungssoftware auseinandersetzten musste und so Mal um Mal besser wurde, doch ist mir meine Zeit dafür inzwischen ehrlich gesagt zu kostbar. Bei Nutzung eines Emulators zum Abspielen des Roms würden Save-States das Problem lösen, doch da Legit 8bit nach eigenen Aussagen die Spiele von Grund auf portiert (was auch eine Erklärung für die gut 800MB des Downloads sein dürften) fällt diese Option ebenfalls weg. Insgesamt finde ich die Anpassungen, die für die XBox-Version vorgenommen wurden, dieses Mal besonders enttäuschend: Während zugegebenermaßen etwas größere und prominentere Projekte wie die Disney Afternoon Collection, die gleich sechs klassische NES Spiele umfasst, Annehmlichkeiten wie eine Rückspulfunktion und diverse Designdokumente umfasst, stellt Project Blue auf der Microsoft-Konsole lediglich drei (zumindest optisch gut zum Hauptspiel passende) Bildschirmrahmen sowie das ansprechend gestaltete Handbuch bereit. Und während Käuferinnen und Käufer des Roms auf dem PC mit einem Leveleditor bedacht werden, der es erlaubt, eigene Projekt Blue Abschnitte zu gestalten und auszutauschen, geht die XBox-Kundschaft diesbezüglich leer aus.

Somit ist der Project Blue auf modifizierter, echter Hardware Beziehungsweise dem Computer vielleicht besser aufgehoben als auf modernen Konsolen. Das Spiel bietet zwar von Grund auf entwickelte,  „Nintendo“-schwere Hüpfspielunterhaltung und erfüllt damit routiniert eventuelle Erwartungshaltungen, muss sich in diesem Kontext aber auch mit einer schieren Menge an sowohl alten als auch neuen Jump’n’Runs messen, und hebt sich diesbezüglich nur schwerlich von der Masse ab. Man mag mir fehlende Authentizität vorwerfen und dass ich gar kein „echter“ Retro-Fan bin, doch ich für meinen Teil würde gerade auf der XBox Zugänglichkeit und aktuelle Annehmlichkeiten dem Novum der Portierung eines echten, neuen NES Spiels vorziehen.

Kommentar


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