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XBox One Review: art of rally im Test

Mit dem Aufbruch in das Zeitalter der Polygone waren es vor allem Rennspiele, die oft als Lauchtitel die Fähigkeiten der neuen Hardware demonstrieren sollten. Egal ob Gran Turismo, Forza oder Project Cars, unter teils immensem Aufwand wird mit jeder Iteration grafische Perfektion angestrebt, indem selbst kleinste Details wie Tankdeckelinnenseiten und abgenutzte Fahrbahnmarkierungen millimetergenau vermessen und modelliert werden. Gerade in letzter Zeit findet man aber auch Genrevertreter, die quasi als Gegenentwurf zum Fotorealismus bewusst auf eine reduzierte und simple Optik setzen und dabei oftmals auch spielerisch einem einfacheren Gameplay nacheifern. Mit seiner minimalistischen, schlichten Präsentation und weit entfernten Kamera, die das Geschehen fast schon aus einer isometrischen Perspektive einfängt, fällt art of rally vom Entwickler Funselector zumindest visuell in diese Kategorie.

Art of Rally

Das Spiel erschien bereits 2020 für PC und feiert dieser Tage für ca. 20 EUR sein leicht erweitertes Konsolen-Debüt auf XBox, Switch und Playstation. Zudem ist der Titel beim Start in Microsofts Gamepass enthalten, wobei Funselector so freundlich war, mir einen entsprechenden Code für meine XBox One S zukommen zu lassen.
Wie der Name vermuten lässt, steht bei Art of Rally der Ralleysport im Mittelpunkt, einem der meiner Meinung nach merkwürdigsten Vertreter im Bereich des motorisierten Wettstreits. Nicht nur, dass er sich einer einheitlichen Schreibweise entzieht (Rally? Ralley? Rallye?), es gibt auch anders als bei vielen anderen Rennveranstaltungen keine ansatzweise ansehnlichen Überholmanöver, die von spektakulären, speziell für die Rennserie entworfenen Fahrzeugen auf ebensolchen Strecken ausgeführt werden. Stattdessen messen sich die Fahrerinnen und Fahrer in über Zeitrennen ausgetragenen Fernduellen, die mit hochgezüchteten Straßenfahrzeugen auf Pisten bestritten werden, die nur selten einer echte Fahrbahn ähneln und die jeder vernünftige Mensch aufgrund ihrer Beschaffenheit eher meiden würde.
Dass art of rally das Ralleysetting nicht nur für einen Funracer im Stil von Outrun oder Micro Machines nutzt, wird schon beim erstmaligen Start ersichtlich. Einstellungen wie Assistenten für Stabilisierung, Gegenlenken und ABS oder ein variables Schadensmodell findet man neben der obligatorisch Wahl zwischen manueller oder automatischer Schalung in reinen Arcaderacern eher selten. Nebenbei bemerkt ist das Menü für eine Konsolenversion vorbildlich, da die aufgeräumten Optionen nicht nur weitere Einstellungen wie Gamepadsensibilität und Deadzone-Konfiguration zulassen, sondern sich auch die Menügröße selber anpassen lässt und ich mich somit nicht mehr wie so oft mit fitzelkleiner Schrift auf dem Fernseher herumschlagen muss.
Wie nützlich die fahrrelevanten Hilfestellungen sind, zeigt sich dann, wenn es auf die erste Piste geht. Zwar ist art of rally weit davon entfernt, als Simulation durchzugehen, doch die Fahrzeuge weisen allesamt eine glaubwürdige Masse auf, was sich in einer entsprechenden Trägheit bei der Beschleunigung und vor allem beim Lenken niederschlägt. Auch wenn sich die unterschiedlichen Boliden grundsätzlich ähnlich steuern, haben beispielsweise Radstand oder Art des Antriebs merkliche Auswirkungen auf das Fahrverhalten. Statt also rein auf Vollgas zu setzen, ist man eher damit beschäftigt, unter gefühlvollem Spiel zwischen Gas und (Hand)Bremse heikle Kurven teilweise auch im Schrittempo zu durchfahren oder bei Kurskorrekturen nicht zu Übersteuern und durch sich aufschaukelndes Gegenlenken von der Strecke getragen zu werden. Darüber hinaus können einem je nach gewählter Schadenseinstellung nach Unfällen auch Defekte am Fahrzeug zu schaffen machen und dem Auto bis zur nächsten Reparatur einen permanenten Schlag nach rechts oder links verpassen.
Dass das Fahrmodell von Art of Rally bisweilen etwas übertreiben reagiert und über das Ziel hinausschießt (ha) zeigt sich beispielsweise an gigantischen Sprüngen über Erhebungen oder dem etwas zickigen Verhalten beim Kontakt mit der praktisch unbeweglich Umgebung. Somit liegen Frust und Freude beim Spiel dicht beieinander. In einem Moment frohlockt man noch, weil man in einem nahezu perfekten Drift eine Kurve gemeistert hat, nur um Augenblicke später den richtigen Bremspunkt leicht zu verpassen und so vor dem nächsten Baum zu landen oder weit von der Strecke abzukommen. Letzteres ist besonders ärgerlich, da schon geringe Abweichungen vom engen Fahrkorridor, der nicht angezeigt wird, mit fünf Strafsekunden geahndet wird.
So merkwürdig es klingen mag, weist das Spiel in meinen Augen somit Ähnlichkeiten zu Klassikern wie Lunar Lander oder Thrust auf, indem es die Auseinandersetzung mit einer zumindest nachvollziehbaren, physikbasierten Steuerung zum zentralen Element eines arcadeorientierten Spiels macht. Das wäre auch eine Erklärung für die ungewöhnliche Ausgestaltung des Karrieremodus, der das „goldene“ Zeitalter der Ralleys thematisiert und sich streng linear über 30 Jahre von 1966 bis 1996 erstreckt, wobei sich die Zeitspanne auf sechs Fahrzeugklassen aufteilt, die jeweils eine halbe Dekade umspannen. Pro Saison ist zwar die Anzahl der zu bestreitenden Rennetappen vorgegeben, jedoch werden sowohl das Land, in dem sie bestritten werden, als auch die damit einhergehenden Strecken und Tageszeiten zufällig bestimmt. Da die gut 60 Kurse, die sich über 6 Regionen wie Finnland, Kenia oder Sardinien erstrecken, bereits zu Beginn uneingeschränkt zur Verfügung stehen, fühlt sich dieser Spielmodus daher ein wenig beliebig und eintönig an, zumal die finale Positionierung ebenfalls keinerlei Einfluss auf den Fortschritt zu haben scheint. Egal, ob man das Ralleyjahr auf dem Siegerpodest oder einem der hinteren Plätze beendet, stets wird das nächste Rennevent entsperrt und zusätzliche Lackierungen und Autos freigeschaltet. Die Beurteilung der fahrerischen Leistung ist dabei sowieso relativ nichtssagend, da der stets einstellbare Schwierigkeitsgrad ausschließlich die erfundenen Zeiten der simulierten Konkurrenz bestimmt. So kann man auf der einfachsten Stufe zu einer gemütlichen Spazierfahrt ansetzen und dennoch die gegnerischen Zeiten um Längen unterbieten. Außerdem wird das eigene Abschneiden und das Gesamtklassement recht trocken erst am Ende einer Etappe in Textform präsentiert, statt beispielsweise wie in anderen Titeln üblich zumindest an Checkpunkten auf der Strecke Position und Differenzzeiten zum führenden oder nachfolgenden Fahrzeug einzublenden.
In selber zusammengestellten Ralleys wird zumindest der zufällige Aspekt des Rennablaufs eliminiert, doch richtig „Klick“ hat es bei mir in den Zeitfahrten gemacht. Habe ich die Implementierung dieses Modus in anderen Rennspielen oft als trockene Pflichtübung wahrgenommen und in der Regel wegen seiner „Reduktion“ des Renngeschehens verschmäht, offenbart er in art of rally den wahren Kern des Spiels. Es geht nicht um Sieg oder Niederlage, sondern nur um mich und die Strecke. Vor allem in den höheren Fahrzeugklassen ist nicht die Höchstgeschwindigkeit auf der Geraden ausschlaggebend, sondern das Beherrschen des kraftvollen Gefährts auf den sich schlängelnden Pfaden. So kann ich mich wieder und wieder am selben Kurs versuchen, um meine Bestzeit noch etwas weiter zu optimieren. Auch wenn es wohl dem Charakter des Spiels widersprechen würde, hätte ich mir dabei hin und wieder eine Rückspul-Funktion gewünscht, denn die Rennen dauern einige Minuten an, und ein Fahrfehler gegen Ende kann das gesamte Ergebnis ruinieren. Wenigstens lässt sich schnell per Tastendruck ein Neustart veranlassen, womit sich auch die spürbaren Ladezeiten für einen Kurs vermeiden lassen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten steht auch ein Online-Ranking zur Verfügung, das die eigenen Bestzeiten denen der weltweiten Community gegenüberstellt und es erlaubt, ein zugehöriges Geisterfahrzeug einzublenden. Ein Vergleich mit einer geringfügig besseren Leistung kann ungemein motivierend sein, indem er beispielsweise zu einer etwas aggressivere Fahrweise ermutigt oder die Vor- und Nachteile eines anderen Vehikels darlegt.
Dieser Ansporn gilt ebenfalls für die täglichen beziehungsweise wöchentlichen Herausforderungen.
Als finaler und vielleicht merkwürdigster Spielmodus wurde noch die „freie Fahrt“ eingebaut, die für jeden Austragungsort fast schon im Stile eines Open-World-Spiels das überraschend umfangreiche Straßennetz bereitstellt, aus denen sich die einzelnen Rennetappen zusammensetzen. Hier kann man nicht nur das Umfeld frei von Streckenvorgaben erkunden, sondern ähnlich den frühen Tony-Hawk Titeln -jedoch ohne Zeitlimit- einen speziellen Bus und jeweils fünf Videokassetten, fotogene Sehenswürdigkeiten und die Buchstaben R A L L Y einsammeln, die dann die nächste „Welt“ freischalten. Auch wenn die Umgebungen vermutlich bereits für die Einzelverläufe konstruiert wurden, stellt sich mir die Frage, warum der Aufwand betrieben wurde, hier eine offene Welt zu präsentieren, um sie dann für nur wenige Aufgabenstellungen zu nutzen. Nicht, dass ich finde, der Umfang von art of rally sei zu gering, doch gerade weil dieser Modus existiert, bietet er sich doch für so viel mehr an. Warum beispielsweise nicht den Tony-Hawk-Vergleich voll ausreizen und Drei-Minuten-Punkte-Herausforderungen mit einem Kombosystem für Drifts, zielgenaues Fahren oder Höchstgeschwindigkeiten vereinen? Oder im Stile anderer Open-World-Spiele Aufgaben wie zeitkritische Lieferungen von Punkt A nach B in der Gegend verteilen? Selbst ein oft von mir geforderter Streckeneditor müsste sich bei einem bereits bestehenden Straßennetz eigentlich mit Hilfe von zu setzenden Checkpunkten relativ einfach realisieren lassen. Stattdessen verwundern die handvoll Sammelaufgaben um so mehr, als dass sie anscheinend reinem Selbstzweck dienen. Vor allem die Fotolocations werden zwar im Moment Ihrer Entdeckung in einem Schnappschuss festgehalten, der Fahrzeug und Landschaft hübsch in Szene setzt, doch diese Bilder landen in keinem Fotoalbum, und als sammelbares Objekt sind sie aus der Landschaft verschwunden. Dabei haben die Umgebungen sowohl optisch als auch gestalterisch ihre Höhen und Tiefen, und damit meine ich nicht die wortwörtlichen Berg- und Talfahrten auf Gebirgsstrecken die noch zu den Highlights des Spiels zählen. Wie Eingangs erwähnt setzt die Grafik auf einen minimalistischen Stil, der verschiedene Elemente wie einfache Polygonmodelle mit flächigen Texturen in bunten Farben und einem allgemeinen Verzicht auf zu viel Details kombiniert und am ehesten als solide oder zweckdienlich bezeichnet werden könnte, zumal er keine direkten nostalgischen Gefühle weckt wie beispielsweise ein Racer, der komplett in Low-Poly-Optik erstrahlt. Mit netten Lichteffekten wie die Autoscheinwerfer, die die Strecke bei Nachtfahrten beleuchten oder der Abenddämmerung, die der gesamten Szenerie eine lila Färbung verpasst, zaubert art of rally in bestimmten Situationen dennoch stimmungsvolle und schöne Bilder auf den Schirm, die nach einem ersten Patch auch technischen Grundanforderungen genügen. Denn vor der Verbesserung litt die Vegetation in art of rally zumindest auf einer XBox One S so stark unter Pop-in, dass teilweise ganze Wälder aus dem Nichts erschienen. Komplett sind diese Mängel zwar nicht behoben, jedoch ist die Anzahl an Sträuchern und Bäumen, die wie von Geisterhand auf der Piste auftauchen, stark reduziert. Zum Glück wirken sich diese nunmehr kleinen Grafikprobleme kaum auf auf den Spielfluss aus, da die Bewegungen auf der Straße unabhängig von den Geschehnissen in der Ferne stets stabil und flüssig dargestellt werden. Außerdem verpasst das Update den Rennen noch einen ansehnlichen Tiefenunschärfe-Effekt, der zuvor nur dem Foto-Modus vorbehalten war. Damit erweckt die Grafik nun auch in Bewegung fast den Look einer Bastelbogen-Spielzeugwelt und sorgt in Passagen wie den oben genannten Bergrennen, bei denen man über Hänge voller blühender Kirschbäume die Streckenführung und ein kleines Dorf im Tal ausmachen kann, für pittoreske Postkartenmotive in Pastelltönen. Andere Abschnitte sind dagegen sehr viel karger gestaltet, winden sich um optisch langweilige Gewässer und können mit arg kniffeligen Kurvenfolgen nicht immer überzeugen. Am wenigsten haben mir die in Deutschland verorteten Wettkämpfe gefallen, auf denen Teile der ohnehin schon schmalen Straße von Hindernissen gesäumt werden, die wie in den Boden betonierte Grabsteine aussehen.

Art of Rally

Während das Straßennetz relativ offensichtlich der Phantasie entsprungen ist, kann man bei den Fahrzeugen auch ohne teure Lizenz die offensichtlichen Vorbilder ausmachen. Hinter dem kompakten Meanie verbirgt sich der Mini von Cooper, und die typische Seitenlinie des Porsche 911er ziert in art of rally ein Fahrzeug namens „das 119“. Dass durch die Kameraansichten, die von „entfernt“ bis „weit entfernt“ reichen, kaum Fahrzeugdetails auszumachen sind, ist wenig störend, vor allem, da dadurch das Problem der schlechten Streckenübersicht behoben wird, das ich in vielen Rennspielen mit niedriger Heckansicht oder Cockpit-Perspektive habe. Demzufolge vermisse ich auch keine Beifahrerstimme, die in anderen Ralleytiteln Auskunft über anstehende Hindernisse und Lenkmanöver gibt. Denn ähnlich der Optik beschränkt sich auch der Sound mit den realistisch röhrenden und knatternden Motoren und gelegentlichem Zuschauerjubel auf das wesentlich. Tatsächlich fehlt mir lediglich der beruhigende Klang von Kies und Schotter, wenn über entsprechenden Untergrund gefahren wird. Ein uneingeschränktes Lob hat dagegen der Synth-Wave-Soundtrack mit einem Hauch von Daft Punk verdient. Auch wenn diese Art von Musik eher zu einem 80er Jahre Sci-Fi-Film denn ein Rennspiel passt, unterstützen die mal fröhlich energetischen, mal angespannt treibenden Klänge hervorragend den fast schon meditativen Charakter des Spiels, wenn man sich mit Tunnelblick voll und ganz auf die Strecke konzentriert und zur Erkenntnis kommt, dass gefühlvolles Drifting tatsächlich eine Kunstform ist.

Art of rally ist mit Sicherheit nicht nach jedermanns Geschmack. Wer in Anbetracht der einfachen, knuffigen Grafik einen ebenso zugänglichen Arcaderaser erwartet, dürfte enttäuscht sein. Doch wer gewillt ist, über einige offensichtliche Schwachstellen hinwegzusehen und Arbeit in die Verinnerlichung der Steuerung zu investieren, wird mit einem enstzunehmenden, umfangreichen und sicherlich lang motivierenden Spiel belohnt. Daher ist art of rally auf XBox auch außerhalb des Gamepass bestimmt einen Blick wert.