XBox Review: Bloodshed im Test (XBox One / XBox Series)

Sicherlich habe ich an dieser Stelle schon mehrfach auf die Wichtigkeit von Doom für die Geschichte der Videospiele hingewiesen. Zwar gab es schon vorher 3D-Spiele aus der Egoperspektive, aber ids Meisterwerk von 1993 war zweifelsohne einen technischer Meilenstein, der für die Popularität und die weitere Entwicklung des Genres maßgeblich verantwortlich war und eine Zeit lang gar als Namensgeber der neugeschaffenen Spielegattung der Doom-Klone fungierte. Zudem hat der Titel dank ausgewogener Mechanik und hervorragendem Leveldesign selbst heutzutage kaum etwas von seiner Spielbarkeit eingebüßt, so dass sich seit einigen Jahren unter der Bezeichnung „Boomershooter“ aktuelle Veröffentlichungen wie Boltgun oder Prodeus auf den schnellen, schnörkellosen Actioncharakter und den klobigen Look der First-Person-Shooter der 90er zurückbesinnen.

Auf den ersten Blick könnte man Bloodshed, dessen Publisher Headup mir freundlicherweise ein Code zu Rezensionszwecken überlassen hat, ebenfalls für einen dieser Retroshooter halten, doch das rasante Gameplay, pixelige Texturen und spritebasierte Gegner dienen lediglich als Grundgerüst für ein sehr viel moderneres Konzept, für das mir das Akronym ASS (Auto Shooter Survival) gut gefällt und das durch den Überraschungshit Vampire Survivors vorrangig geprägt wurde. Dementsprechend wählt man in Bloodshed seine Spielfigur aus einem Kader, der im weiteren Verlauf auf sieben Kämpfer mit unterschiedlichen Eigenschaften hinsichtlich Lebensenergie, Startbewaffnung oder Spezialbewegungen anwächst, um in einem guten halben Dutzend Arenen hunderte Feinde zu meucheln, bis je nach Missionsvorgabe ein Zeitlimit erreicht oder ein finaler Boss erledigt ist. Besiegte Bösewichte zerplatzen nicht nur in der Regel in einer befriedigen Blutfontäne, sondern lassen dabei auch Erfahrungspunkte in Form von Kugeln fallen, die aufgesammelt zur weiteren Entwicklung des Charakters für die jeweilige Sitzung beitragen. Mit jedem Stufenanstieg kann man dann aus einer zufälligen Auswahl von drei bis vier der bis dato freigeschalteten Verbesserungen nach eigenem Gusto wählen. Diese sind zum Beispiel neue Waffen oder Upgrades für die bestehenden, Zaubersprüche, die in regelmäßigen Abständen selbständig Fallen oder Heilzirkel beschwören oder schlicht höhere Maximal-Gesundheit, mehr ausgeteilter Schaden oder bessere Rüstung. Besonders hartnäckige Zwischenbosse lassen darüber hinaus Schatztruhen fallen, die drei weitere beliebige Boni enthalten, so dass die eigene Figur während jeder bis zu 30 Minuten andauernden Partie aufs neue vom schwachbrüstigen Neuling zur mächtigen Killermaschine mutiert. Wie es sich für ein Durchlauf-orientiertes Spiel mit Rouge-Like-Facetten gehört, gibt es natürlich auch in Bloodshed darüber hinaus einen übergreifenden Fortschritt, der für Motivation sorgt. Die zahlreichen „Aufträge“ genannten Zielvorgaben wie das ultimative Auflevel einer passiven Fähigkeit während eines Matches oder ein bestimmter Kontostand schalten weitere Elemente, verbrauchbare Objekte und potentielle Ausrüstungsgegenstände frei. Mal sind sie kostenlos und umgehend dauerhaft verfügbar, mal müssen sie erst gegen bare Münze erstanden werden, die in den Kampfstätten von zerstörbaren Säulen freigesetzt werden, sofern diese nicht gerade rare Medipacks oder verheerende Powerups enthalten. Durch diesen kontinuierlichen Nachschub an spielrelevanten Belohnungen und neuen Möglichkeiten entwickelt Bloodshed eine überaus reizvolle Sogwirkung. Besonders interessant ist, dass einige Grundbausteine des Genres wie explosive Fässer oder ein Richtungsindikator für Schaden erst nach und nach freigeschaltet werden müssen und das Spiel somit selber quasi Stück für Stück eine Evolution durchläuft.

Bereits von Anfang an verfügbar ist die Option, Waffen automatisch abzufeuern, sobald sich ein Feind im Fadenkreuz findet, was bei Ego-Shooter-Puristen vielleicht für blankes Entsetzen sorgen könnte. Doch derartige Vorbehalte sind in meinen Augen jedoch unangebracht, lässt sich die Einstellung doch erstens auf Wunsch deaktivieren, und außerdem sind andere Aspekte klassischer Shooter wie die Kontrolle über die Gegnermassen, das Umkreisen harter Brocken und regelmäßiges Ausweichen von Geschossen in keinster Weise beeinträchtigt. Lediglich das „Vorhalten“ mit dem obligatorischen Raketenwerfer leidet etwas unter dieser Abzugsmechanik. In Anbetracht eines teils vierstelligen Kill-Counters erachte ich die Möglichkeit aber dennoch als angenehme Vereinfachung, die den rechten Trigger am Controller vor rapidem Verschleiß schützt. Außerdem wird trotz automatischer Schussabgabe und unendlicher Munition das Spiel nicht zum befürchteten kompletten Selbstläufer, schließlich muss noch manuell gezielt und durch die Landschaft navigiert werden, und mit unterschiedlichen Reichweiten, Feuerraten und weiterhin vorhandene Nachladezeiten sind Bloodsheds anfänglich durchaus schwachen Kampfutensilien der Auswahl anderer FPS auch nicht überlegen. Jedoch gab es zumindest bei meiner Spielweise abseits der erwähnten Freischaltlogik selten einen zwingenden Grund, weitere Schießprügel in das eigene Arsenal aufzunehmen anstatt die Grundausstattung konsequent zu optimieren, so dass ich ausschließlich mit der abgesägten Schrotflinte des Revolverhelden einen Großteil des Spiels weitestgehend problemlos bestreiten konnte. Dennoch versucht man sich gerne noch einmal an angeschlossenen Abschnitt, um beispielsweise mehr mit einem auf den Nahkampf spezialisierten Charakter zu experimentieren. Einen nicht unerheblichen Anteil am Spielspaß hat dabei das gelungene Leveldesign der Gebiete, die sich etwa zur Hälfte auf kleinere, überschaubare Bereiche und überraschend ausladende Landschaften aufteilen. Egal, ob anfänglicher Friedhof, beengter Schaufelraddampfer oder komplette Fischerinsel, kaum ein Areal vernachlässigt die Vertikalität und rechtfertigt somit bereits schon alleine die Übertragung des Vampire Survivors Spielprinzips auf eine 3D Umgebung. Das durchdachte Layout mit einer guten Mischung aus eher offenen Flächen, vereinzelten Deckungsmöglichkeiten und engeren Korridoren bietet stets ausreichend Optionen zur Navigation, so dass man dank der simplen, eingängigen Steuerung permanent in Bewegung bleibt, und bedingt durch die retroinspirierte Einfachheit der Geometrie gibt es praktisch kaum Ecken oder Kanten, an denen man sich verhakt oder die nicht wenigstens mit einem beherzten Sprung oder Spezialmanöver überwunden werden können. Im Gegenzug bedeutet das aber auch, das es keine Stelle auf der Karte gibt, die vor dem kontinuierlichen Nachschub an Feinden sicher wäre, wodurch das Spieltempo zu jedem Zeitpunkt extrem hoch bleibt. Vom Ablauf erinnert mich Bloodshed somit etwas an das meiner Meinung nach sehr unterschätzte Resident Evil Mercenaries 3D

Beim Setting bedient sich das furiose Actionspektakel passend zur Jahreszeit beim Grusel- und Monster-Genre und wartet mit einer ganzen Heerschar an verschiedenen Widersacher von einfachen, Kutten tragenden Kultisten über Skelette und Zombies bis hin zu gehörnten oder fliegenden Dämonen auf. Wirklich ernst nimmt sich das etwas zusammengewürfelt wirkende Szenario aber nicht und ist mit gelegentlichen, vermeintlich lockeren Sprüchen der Protagonisten und Waffen wie Kettenpeitsche, Zauberstab, Schrotflinten und Minikanonen irgendwo zwischen Heretic und Rise of the triads angesiedelt. Bei der Feindauswahl kann man somit eher Masse statt Klasse erwarten: Viele drängen schlicht gradlinig auf die eigene Position und versuchen, auf kurze Distanz Schaden zu verursachen, und die meisten anderen Attacken beschränken sich auf verschiedene Projektile. Zumindest kündigen sich regelmäßig Spezialvarianten aus dem Gruselkabinett an, die über mehr Durchhaltevermögen und  besondere Eigenschaften verfügen, dennoch hätte ich mir noch ein oder zwei Einheiten vom Kaliber eines doom’schen Spiderdemons oder variantenreichere Angriffsmuster gewünscht. Doch bereits aufgrund ihrer schieren Menge stellen die Legionen an Schergen eine ausreichende Gefahr dar, und das, ohne dass Grafik oder Übersichtlichkeit darunter leiden (zumindest jenseits einer grünen Kotz-Attacke, die die Sicht beeinträchtigt). Denn die Klassiker-nachahmende 3D-Umgebung verbringt das Kunststück, einerseits detailliert und stimmungsvoll genug zu sein, um optisch nicht komplett abzuschrecken, und andererseits mit ausreichender Beleuchtung, klaren Strukturen und mitunter hervorstechenden Farben selbst im tiefsten Chaos für jederzeit gut lesbare Situationen zu sorgen. Auch die flachen, als zweidimensionale Bilder gestalteten Antagonisten fügen sich mit zahlreichen, vorgefertigten Blickwinkeln und ausgewogenen Animationen besser in die räumlichen Umgebungen ein als in irgendeinem Spiel aus den 90ern, bevor sie durch polygonale Modelle ersetzt wurden. Bei schwebender Höllenbrut stößt die Perspektive zwar erwartungsgemäß aus nächster Nähe an ihre Grenzen, dennoch habe ich gerade Angesichts des treibenden Geschehens nicht das Gefühl, optisch etwas zu vermissen, sondern frage mich, ob dieser visuelle Stil im Actionbereich nicht dauerhaft eine Daseinsberechtigung auch jenseits nostalgischer Gefühle hätte.

Die Soundkulisse passt durch markige Schussgeräusche, schmatzende Splatter-Effekte und allgegenwärtiges Knurren, Gurgeln und Murmeln hervorragend zum Spielgeschehen und verleiht der rastlosen Action die nötige Würze, während die musikalische Untermalung zwar ebenfalls durchaus angemessen gestaltet ist und im leicht bemüht bombastischen Stil der Soundtracks entsprechender Shooter daherkommt, für sich alleine jedoch nicht wirklich etwas Besonderes ist.

Mit Blick auf die sehr überschaubare Anzahl an Schauplätzen, die sich relativ schnell abschließen lassen, könnte man sich Gedanken um die Langzeitmotivation machen, doch auch hier hat Bloodshed vorgesorgt. Neben den bereits angesprochenen Anreizen, beendete Szenarien mit alternativen Herangehensweisen erneut zu bestreiten, finden sich in jedem Level drei teils so gut verborgene goldene Spinnen, dass ich sie noch nicht alle entdeckt habe. Mit ihnen werden noch einmal 6 Bonuslevel zugänglich, die entweder bestehende Strukturen mit neuen Aufgaben versehen oder gleich komplett eigene Szenarien sind und ihrerseits noch einmal versteckte Sammelobjekte enthalten. Zudem erhält man nach Abschluss der Kampagne die Möglichkeit, sich aus Level, Spieldauer, Schwierigkeitsgrad und Objektdichte seine eigenen Herausforderungen zusammenzustellen. Und berücksichtigt man eine Kapitelauswahl, die momentan nur 2 Episoden und reichlich freien Platz aufweist, wäre es nicht überraschend, wenn Entwicklerstudio com8com1 Software mehr Nachschub vorgesehen hätte.

Bloodshed hat somit das vollbracht, was Vampire Survivors nicht geschafft hat: mich für das Auto-Shooter-Survival-Genre zu begeistern. Wo mich der blutsaugende Überlebenskampf mit vermeintlich zu passiven Spielelementen und vor allem einem dürftigen Grafikstil abgeschreckt hat, trifft das Blutvergießen eine nahezu perfekte Balance zwischen klassischem Action- und modernem Auflevel-Gameplay in abgeschlossenen Arenen und ist damit eine gelungene Kombination zweier Ansätze, die aus Bloodshed einen hervorragenden Boomer-First-Person-Auto-Survival-Shooter machen.

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